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Gegen den Kulturgüterraub vorgehen

Neue Zürcher Zeitung, 22. November 2014, von Andrea Raschèr

Die Schweiz gehört zu den wichtigsten Kulturhandelszentren weltweit. Werden keine Massnahmen ergriffen, besteht die Gefahr, dass sie zur Drehscheibe des Handels mit syrischen Kulturgütern wird.

Das syrische Kulturerbe ist kultur- und religionsübergreifend reich und vielfältig. Es spiegelt die pluralistische Gesellschaft des Landes. Das Ausmass der humanen Katastrophe des Konflikts in Syrien kann als unermesslich angesehen werden. Eine kulturelle Katastrophe hingegen ist das, was als Folge des Konflikts mit Kulturgütern geschieht. Bis vor einigen Jahren waren die Kulturbehörden in Syrien personell gut ausgestattet. Es gab wenig Raubgrabungen und Plünderungen. Dies änderte sich schlagartig mit dem Konflikt, der das Land in eine Krise stürzte. Geld, mit dem bis dahin die Mitarbeitenden an kulturellen Stätten, etwa Aufsichtspersonen bezahlt wurden, setzte die syrische Regierung für den Kampf ein. Weite Teile des Landes wurden unzugänglich. Eine unhaltbare Situation für die Behörden – eine Erleichterung für Plünderer von Museen und archäologischen Stätten. Kulturgüter aus der Region sind auf den internationalen Kunst- und Antiquitätenmärkten sehr begehrt und lukrativ, sodass kriminelle Organisationen sie mit illegalem Handel in Umlauf bringen. International agierende Kartelle schleusen die Kulturgüter nach Europa – auf den gleichen Routen, die sie für Drogen und Waffen benützen.

Zuerst zerstörte die Terrorgruppe Islamischer Staat Kulturgüter systematisch. Nach und nach erkannte sie, dass zusätzlich  zum Handel mit Öl, vor allem der Handel mit Kulturgütern lohnenswerte Einnahmen bringt. Nun werden die Kulturgüter gestohlen und geraubt und werden damit immer mehr zu einer wichtigen Einnahmequelle für die Terroristen.

Die Schweiz ist gefordert: Obwohl den hiesigen Behörden bekannt ist, dass in Syrien seit Jahren ein Bürgerkrieg tobt, unterliegen der Kauf und Verkauf von syrischen Kulturgütern in der Schweiz nach wie vor keinen strengen Regelungen. Dies im Gegensatz zu Kulturgütern aus dem Irak, deren Handel der Bundesrat bereits 2003 ausdrücklich mit einer „Irakverordnung“ unterbunden hatte. Damals hatte der Bundesrat wenige Tage, nachdem der UN-Sicherheitsrat den Handel mit irakischen Kulturgütern verboten hatte, eine solche Regelung erlassen. Die Schweiz war damals eines der ersten Regierungen weltweit: Die EU nahm sich die Schweizer Verordnung zum Muster für ihre Regelung.

Heute ist es umgekehrt: Es ist schwer verständlich, warum der Bundesrat zwar die Ausfuhr von Rüstungs- oder Luxusgütern nach Syrien unterbindet, aber bei Kulturgütern untätig bleibt. Dies, wo er doch die Irakverordnung längst auf Syrien hätte anpassen können. Warum schliesst sich der Bundesrat nicht den Massnahmen der EU an, die seit fast einem Jahr die Ein- und Ausfuhr von syrischen Kulturgütern sowie den Handel mit syrischem Kulturgut verbieten? Für eine versierte Juristin wäre die Anpassung der Irakverordnung – inklusive des gesamten Verwaltungsablaufs – innerhalb von 90 Minuten zu bewältigen. Die lapidare Antwort der zuständigen Bundesbehörden, warum in dieser Hinsicht noch nichts unternommen wurde, lautet lapidar: Es „würden auch Restriktionen betreffend Kulturgüter geprüft“. Was gibt es angesichts der augenfälligen Katastrophe noch zu prüfen? Ziel muss es doch sein, dass es für Terroristen und andere Kriminelle nicht mehr attraktiv ist, syrische Kulturgüter in der Schweiz zu verkaufen.

Die Schweiz gehört zu den sechs wichtigsten Kulturhandelszentren weltweit. Deshalb besteht ein grosses Risiko, dass die Schweiz zur Drehscheibe des Handels mit syrischen Kulturgütern wird. Es ist daher wichtig, dass die Schweiz gezielt Massnahmen trifft und ein Zeichen setzt. Ein solches hätte zuerst abschreckende Wirkung und würde signalisieren: Die Schweiz toleriert es nicht, dass Terror über Kulturgüter finanziert wird. Sie toleriert den illegalen Handel mit archäologischen Gütern nicht. Das würde bedeuten, dass es verboten ist, Kulturgüter, die seit 2011 illegal aus Syrien ausgeführt wurden, einzuführen, zu verkaufen oder zu kaufen. Wer solche Kulturgüter kauft riskiert eine Zuchthausstrafe bis fünf Jahren oder Bussen in siebenstelliger Höhe. Schliesslich wird das Kulturgut beschlagnahmt, damit es zu gegebener Zeit nach Syrien zurückgegeben werden kann.

Solange die Verhältnisse in Syrien eine Rückkehr des Kulturguts nicht erlauben, bleibt es in der Schweiz geschützt: Das kürzlich verabschiedete Kulturgüterschutzgesetz sieht vor, dass Kulturgüter aus Krisenregionen treuhänderisch in der Schweiz aufbewahrt werden können, solange sie im Ursprungsland gefährdet sind. Es wäre zu wünschen, dass die Schweiz diesen „Safe Haven“ unter der Schirmherrschaft und mit Legitimation der UNESCO für weitere Kulturgüter aus Syrien anbietet. Dies keineswegs als symbolische Massnahme, sondern im Rahmen konkreter Schritte. Geeignete Fachleute und Institutionen gibt es in der Schweiz genug: Angefangen beim Nationalmuseum mit seinem Sammlungszentrum in Affoltern, das für eine solche Aktion geradezu prädestiniert ist. Schliesslich sollte die Schweiz die Bestrebungen der UNESCO unterstützen, alle verfügbaren Daten zum kulturellen Erbe Syriens zu publizieren. Mit einer solchen Massnahme unterstützt die Schweiz das Assad-Regime in keiner Weise.

Seit geraumer Zeit werden in Syrien 10’000 Jahre Geschichte der Menschheit zerstört. Wäre es da nicht dringendst erforderlich, dass der Bundesrat die Irakverordnung endlich auf Syrien ausweitet? Nach der kulturellen Katastrophe im Irak kommentierte der damalige amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld achselzuckend: „Wir haben es nicht erlaubt, es passierte einfach“. Hoffen wir, dass die Schweiz, was Syrien angeht, dem kulturellen Desaster Einhalt gebietet und es nicht weiterhin "einfach so passieren" lässt.

Andrea F. G. Raschèr, Berater und Lehrbeauftragter für Kulturrecht und Kulturpolitik. UNESCO-Experte für Kulturgüterschutz.



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